3. Januar 2014

„Wissenschaft muss multilingual sein“ – Peter Funke im Gespräch


Peter Funke; © DFGIn vielen Forschungsdisziplinen gewinnt die englische Sprache zunehmend an Bedeutung. Dem gegenüber plädiert Peter Funke, Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), für sprachliche Vielfalt in der Wissenschaftslandschaft.



Herr Funke, in welcher Sprache publizieren Sie Ihre Aufsätze?
In meinem Schriftenverzeichnis überwiegt der Anteil deutschsprachiger Publikationen. Ich habe aber auch viele Beiträge in Englisch veröffentlicht und einige in Italienisch, Spanisch und Neugriechisch. Meine Aufsätze schreibe ich in der Regel jedoch zuerst auf Deutsch und lasse sie gegebenenfalls übersetzen. Das geschieht nicht aus Abneigung gegen andere Sprachen, sondern aus dem Empfinden heraus, mich in meiner Muttersprache pointierter und präziser ausdrücken zu können.


Wissenschaft ist international


Das heißt aber, dass Sie Ihre Publikationen auch einer internationalen Leserschaft zur Verfügung stellen möchten …
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; © DFGAuf jeden Fall. Wissenschaftliches Arbeiten ist anders auch gar nicht denkbar. Die Altertumswissenschaften sind seit jeher international ausgerichtet. Der Austausch über alle Grenzen hinaus ist eine Selbstverständlichkeit. Ich selbst betreibe seit zwanzig Jahren Feldforschung in Griechenland und arbeite eng mit Historikern und Archäologen aus verschiedenen Ländern zusammen, die ihre Forschungen wiederum in allen Kontinenten rund um den Globus durchführen. Und da sind auch fundierte Kenntnisse verschiedenster – alter wie moderner – Sprachen unabdingbar.

Englisch als Lingua Franca


Die Wissenschaftssprache muss also nicht unbedingt Englisch – sondern themenabhängig – sein?
Genau so sehe ich das. Ich habe nichts gegen die englische Sprache. Aber ich halte es eigentlich für zwingend erforderlich, dass unsere Wissenschaftslandschaft so multilingual bleibt, wie sie es – zumindest in meiner Disziplin – im Moment noch ist.
Diskutierende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; © DFG Damit stelle ich nicht in Abrede, dass die Rolle des Englischen als eine Lingua Franca unangefochten ist. Aber eben als das, was eine Lingua Franca seit jeher war: ein Mittel, das den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Ländern zur Verständigung dient.
Für mich ist selbstverständlich, dass auf Konferenzen auch englisch gesprochen wird oder ich mich mit Kollegen aus dem Ausland auch in dieser Sprache austausche. Trotzdem gibt es Forschungsgebiete, in denen die zentralen Sprachen ganz andere sind – weil es der Gegenstand so erfordert.

Der Wert der Muttersprache


Es gibt allerdings Fachbereiche, in denen fast nur noch Englisch gesprochen und auf Englisch publiziert wird. Und es heißt oft, wer nicht auf Englisch publiziert, verliert den Anschluss …
Tatsächlich gibt es Fächer, in denen der Austausch in Englisch besonders gut gelingt. Dazu gehören die Natur- oder Ingenieurwissenschaften, obgleich auch in diesen Disziplinen durchaus die Diskussion über die Folgewirkungen des Verlustes des Deutschen als Wissenschaftssprache geführt wird. Und für das Ansehen eines Forschers wird der Gebrauch der englischen Sprache auch zunehmend wichtig. Das sehen Sie an zahlreichen Rankings, bei denen Wissenschaftler daran gemessen werden, wie viel sie auf Englisch publizieren.
Ich halte dies für problematisch, da sich der Wert einer wissenschaftlichen Publikation nicht vorrangig daran ablesen lässt, in welcher Sprache sie verfasst ist. Gerade die Geisteswissenschaften leben aber vom Wert ihrer je eigenen Sprachen. Und es sollte heute mehr Anreize geben, sich auf die unterschiedlichen Sprachen einzulassen.
Deutsche Forschungsgemeinschaft; © DFG/Lichtenscheidt

Deutsch lernen im historischen Seminar


Wie könnte denn das Bewusstsein vom Wert unterschiedlicher Sprachen gesteigert werden?
Das Bewusstsein dafür gibt es schon. Ich hatte gerade heute Vormittag eine Begegnung mit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, die mir von zwei amerikanischen Studenten in ihrem Seminar erzählte. Diese Studenten hörten aufmerksam zu, schrieben auch mit – und erst am Ende stellte sich heraus, dass es gar keine Studierenden aus dem Bereich der Altertumswissenschaften, sondern der Betriebswirtschaft waren. In den USA hatte ihnen aber ihr Dozent gesagt, dass sie in die Seminare der Altertumswissenschaften gehen sollten, da sie dort Deutsch lernen könnten und sollten. Also: Der Wert der sprachlichen Vielfalt wird doch im Ausland wahrgenommen.
Würden Sie denn sagen, dass Studenten mehr in unterschiedlichen Sprachen unterrichtet werden sollten, damit sie einen ganz selbstverständlichen Umgang mit Sprachen bekommen?
Studierende im Hörsaal; © ColourboxWenn Gastprofessoren aus anderen Ländern kommen, ist es selbstverständlich, dass sie ihre Vorlesungen in Englisch oder ihrer Muttersprache halten. Grundsätzlich möchte ich mich für Studiengänge aussprechen, die auf Mehrsprachigkeit ausgelegt sind.
Mit Kollegen verschiedener Universitäten in Deutschland und Europa habe ich zum Beispiel den Studiengang European Master of Classical Cultures ins Leben gerufen. Die Studierenden lernen an mindestens zwei Universitäten verschiedener Sprachen, sie können zwischen zwölf Hochschulen in neun Ländern wählen. Und immer müssen sich die Studenten auf die jeweilige Sprache des Landes einlassen. Das nenne ich ein gelungenes internationales Miteinander.

Ein kostbares Gut


Das heißt, man müsste die Bedeutung der englischen Sprache in der Wissenschaftslandschaft noch mal überdenken?
Ich habe keine Abneigung gegen die englische Sprache. Sie ist zweifellos ein notwendiges Instrument, ohne das wir uns in der Wissenschaftslandschaft wohl nicht mehr verständigen könnten. Und sie hilft uns enorm dabei, unsere Ideen auf der ganzen Welt zu verbreiten. Doch möchte ich betonen, dass die Sprachenvielfalt gerade auch für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ein kostbares Gut ist, das wir unbedingt bewahren und pflegen sollten.

Peter Funke, 61, ist Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). An der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster ist er Professor für Alte Geschichte und Direktor des Seminars für Alte Geschichte und des Instituts für Epigraphik sowie des Instituts für Interdisziplinäre Zypernstudien.
Britta Mersch
arbeitet als freie Bildungsjournalistin, Dozentin und Moderatorin in Köln. Sie arbeitet für WDR5 und den Deutschlandfunk und moderiert bei DRadio Wissen eine Wissens-Interviewsendung.Copyright: Goethe-Institut e. V., Internet-Redaktion
September 2011
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